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Future Made in Germany ‒ der Zukunftswert deutscher Marken: Jochen Sengpiehl

Vorstellung von Jochen Sengpiehl:

Jochen Sengpiehl ist einer der renommiertesten Marketingstrategen Deutschlands. Nach Stationen als CMO bei Volkswagen, Hyundai und der Deutschen Telekom berät er heute Konzerne, Medienhäuser und Vorstände zu Markenstrategie und Transformation.

Das Interview mit Jochen Sengpiehl

Einleitung: Die Welt verändert sich rasant – und mit ihr die Zukunft der Marken. Wer in dieser neuen Ära relevant bleiben will, muss mehr tun, als nur mitzuhalten. Die Frage ist: Wie gestalten Unternehmen den Wandel und verbinden Verantwortung mit nachhaltigem Erfolg? 

Anlässlich unseres 25-jährigen Jubiläums möchten wir genau diesen Fragen in unserer Interviewreihe „25 Jahre – 25 Stimmen“ nachgehen. Mit führenden Persönlichkeiten aus der Wirtschaft sprechen wir zum Thema „Future Made in Germany – der Zu-kunftswert deutscher Marken“.

Jochen Sengpiehl ist einer der renommiertesten Marketingstrategen Deutschlands. Nach Stationen als CMO bei Hyundai, Volkswagen und Volkswagen China berät er heute Konzerne, Medienhäuser und Vorstände zu Markenstrategie und Transformation. Im Gespräch mit Dr. Christian von Thaden, CEO von Batten & Company, spricht er über den Relevanzverlust von „Made in Germany“, über die Notwendigkeit einer neuen Führungskultur und warum wir dringend Germany 2.0 brauchen.

„Made in Germany“ – ein Qualitätsversprechen mit Ablaufdatum? „Made in Germany“ gilt seit Jahrzehnten als Synonym für Präzision, Ingenieurskunst und Premiumqualität. Doch in Zeiten globaler Plattformökonomien, rasantem Technologiewandel und datenbasierter Kaufentscheidungen stellt sich die Frage: Ist Herkunft heute überhaupt noch ein Wettbewerbsvorteil?

Jochen Sengpiehl: „Made in Germany“ ist für mich wie ein Qualitätsstempel auf einem Faxgerät. Es hat lange gut funktioniert, aber die Herkunft allein bringt heute gar nichts mehr. Ich kann das gut für China beurteilen, da sagen viele mittlerweile ganz direkt: Ihr habt nicht mehr viel, was wir brauchen. Was sie meinen: Sie können fast alles im Land selbst herstellen, in hoher Qualität und haben auch bei den Marken aufgeholt. Es ist nicht mehr per se gewünscht, eine „westliche Marke“ zu kaufen, auch bei Status-Dingen, da ist man zusehends stolz, etwas aus dem eigenen Land zu kaufen. Dort ist eine neue Generation herangewachsen, die mit enormem Stolz auf ihre eigenen Marken blickt: Huawei, Xiaomi, BYD, die gelten als technologisch überlegen, schnell, mutig. Während wir hierzulande noch über Effizienz diskutieren, hat China längst gezeigt, wie man aus Nutzerverhalten Markenmacht aufbaut. Das wird sich klar fortsetzen.

Etwas anders ist es für mich bei dem Teil des deutschen Mittelstands, der wirklich noch Weltspitze ist, den „Hidden Champions“. Da steht das Label „Made in Germany“ noch für Qualität, gerade bei Hidden Champions im Maschinenbau oder in der Verfahrenstechnik. Aber im Zeitalter von KI, Plattformökonomie und radikaler Innovation reicht auch da ein Herkunftssiegel nicht mehr. Wenn du das Label nicht mit Substanz und Tempo auflädst, wird das Nostalgie-Marketing. Aus meiner Sicht eine Riesenherausforderung.

Wenn Deutschland eine Marke wäre – wie würde sie sich heute positionieren? Viele Länder arbeiten aktiv an ihrem Image. Deutschland hingegen scheint sich auf altbewährte Stärken zu verlassen. Wie steht es um das Markenprofil der Bundesrepublik?

Jochen Sengpiehl: Deutschland ist die Marke des Industrial Age – präzise, leistungsstark, zuverlässig. Aber in der heutigen Wahrnehmung auch: schwerfällig, risikoavers, zu sehr auf Effizienz statt auf Wirkung programmiert. Wir stehen für Maschinenbau, für Automobilbau, für Qualität. Aber eben im Schwerpunkt für die analoge Welt. 

Was mir immer wieder auffällt: Die Marke Deutschland hat eine Exekutions-Exzellenz, aber eine Storytelling-Schwäche. Sie ist in weiten Teilen keine Love Brand, viel Logik, wenig positive Emotion. Und das reicht heute nicht mehr.

Was treibt die Wahrnehmung der Marke Deutschland? Welche Faktoren prägen unser Image international – und was wirkt dem entgegen?

Jochen Sengpiehl: Es sind nicht die Politiker oder Wirtschaftsberichte, die das Bild Deutschlands
formen – es sind unsere großen Marken: Siemens, SAP, Audi, Adidas, Porsche. Die machen mehr für unsere Außenwirkung als jeder Minister.

Auf das Land bezogen, ist das Erlebnis Deutschland als Marke mittlerweile mangelhaft leider: BER, Verwaltungsversagen, fehlende Digitalisierung. Das ist alles nicht gut für die Marke. Hinzu kommt, kommunikativ machen wir uns lieber klein, als Größe zu zeigen – ich frage mich, wieso? Denn damit schaden wir der Marke Deutschland mehr als jede geopolitische Debatte.

Wird Deutschland im Ausland anders wahrgenommen als im Inland? Während hierzulande oft das Gefühl vorherrscht, dass Deutschland zurückfällt, ist die Einschätzung im Ausland teils positiver. Wie groß ist die Diskrepanz?

Jochen Sengpiehl: Absolut. Deutschland ist im Ausland oft noch eine stille Supermacht. In Asien sind wir immer noch Benchmark für die oben angesprochene Qualität, in den USA stehen wir für technologische Präzision. Aber: Das basiert auf den Meriten von früher, das beruht nicht auf den Leistungen, die wir jetzt erbringen und auch nicht auf denen, die man in Zukunft von uns erwartet. 

Im Inland hingegen nehme ich viel Selbstzweifel wahr. Wir kommunizieren nicht mehr selbstbewusst und wir zeigen wenig Stolz. Das sehe ich als gefährlich an, denn wer sich selbst nicht wertschätzt, verliert auf Dauer auch die Anerkennung von außen.

Was fehlt der Marke Deutschland, um weiterhin für Qualität, Innovation und Verlässlichkeit zu stehen? Wie könnte man die Marke Deutschland wieder aufladen und worauf kommt es wirklich an?

Jochen Sengpiehl: Uns fehlt in weiten Bereichen nicht das Können, uns fehlt der Mut. Mut zur Geschwindigkeit, Mut zur Vision, Mut zur Disruption. Wir sind stark in der Technik, aber schwach im Tempo. Auch noch stark im Denken, aber zögerlich im Entscheiden. Statt technologische Souveränität aufzubauen, diskutieren wir uns im Klein-Klein fest. Wir brauchen einen Kulturwandel: Vom Verwalten zum Verändern. Und wir brauchen mehr Unternehmertum – weniger Bedenkenträgerei.

Befinden wir uns in einer Abwärtsspirale oder gibt es Grund für vorsichtigen Optimismus? Wie ernst ist die Lage und gibt es noch Hebel, sie zu drehen?

Wir sind in einer Abwärtsspirale, die man aber stoppen kann. Aber wenn wir nichts tun, bleiben wir da. Was fehlt, ist Momentum. Wir hatten es mal – bei der Wiedervereinigung, bei der Weltmeisterschaft 2006 und natürlich legendär in der Aufbauzeit nach dem Krieg.

Heute fehlt mir oft der Drive. Wenn wir das nicht drehen, wird Deutschland zur Erinnerung, aber nicht zur Lösung.

Gibt es für dich eine „besonders deutsche“ Marke? Welche Marke verkörpert für dich das, was Deutschland einmal war oder sein könnte?

Jochen Sengpiehl: Siemens, SAP, aber jetzt auch Rheinmetall. Das sind Marken mit Substanz, Klarheit und Haltung. Ich weiß, dass Rheinmetall polarisiert, aber es ist ein deutsches Unternehmen mit einer klaren Botschaft. Die sind sich in den letzten, für sie schweren Jahren, treu geblieben, der eigenen Überzeugung gefolgt und offensichtlich können sie auch was.

Fielmann ist für mich ein ganz anderes, aber starkes Beispiel: Totale Kundenorientierung, keine Lautstärke, keine Spielchen, sondern Verlässlichkeit und Konsequenz. Das ist typisch deutsch im besten Sinne.

Wie wichtig ist die deutsche Herkunft für den Erfolg großer Marken? Ist „Made in Germany“ heute noch relevant oder ein nostalgisches Konstrukt?

Jochen Sengpiehl: Die Herkunft ist oft ein Türöffner gewesen, aber kein Ticket für Loyalität. Wenn du nur Herkunft kommunizierst, aber keine Innovation lieferst, wirkst du wie ein Museum. Herkunft funktioniert nur dann, wenn du sie mit Zukunft kombinierst. „Made in Germany“ muss zu einer Haltung werden – nicht zu einer Herkunftserzählung.

Wird die deutsche Herkunft wichtiger oder unwichtiger für Marken? Wird das Label in Zukunft an Bedeutung verlieren oder neu interpretiert werden?

Jochen Sengpiehl: Wenn wir es nicht neu aufladen, wird es irrelevant. Marken müssen heute Weltbürger sein. Herkunft darf nicht mehr dominieren – Bedeutung schon.

„Made in Germany“ braucht ein Rebranding. Nicht im Design, sondern im Anspruch. Wir brauchen ein Germany 2.0, dass für digitale Exzellenz, für Nutzerzentrierung, für globale Anschlussfähigkeit steht.

Wem würdest du raten, sich näher oder weiter weg von Deutschland zu positionieren? Für welche Unternehmen ist „deutsch“ noch ein Markenvorteil?

Jochen Sengpiehl: Für die Hidden Champions, mittelständische Tech-Unternehmen und spezialisierte B2B-Weltmarktführer ist Deutschland nach wie vor ein starkes Fundament, das ist auch glaubwürdig. Bei denen steht die Herkunft für Präzision, Vertrauen und Substanz – gerade in internationalen Nischenmärkten. Für sie lohnt es sich, weiterhin mit dem Label „Made in Germany“ zu arbeiten. Aber: Sie müssen es neu übersetzen, dürfen das nicht aus der Vergangenheit heraus begründen.

Ich nenne das „Made in Germany 2.0“. Es geht nicht um Herkunft im klassischen Sinne, sondern um eine Haltung – digital, international, skalierbar. Wer heute im Schwarzwald Maschinen herstellt, muss sich so positionieren, als wäre er Teil eines globalen Tech-Ökosystems. Das heißt: Schneller denken, offener kommunizieren, international agieren.

Anders sieht es bei Traditionsmarken ohne Innovationskraft oder bei überregulierten Konzernstrukturen aus. Wer sich auf Herkunft ausruht und nicht in die Zukunft investiert, sollte sich kommunikativ nicht zu sehr an „Deutschland“ klammern. Da würde ich klar sagen: Positioniere dich globaler, digitaler, mutiger oder du wirst irrelevant.

Was müssen CMOs heute verstehen und endlich tun?

Jochen Sengpiehl: Erstens: Hört auf, nur in Marketing zu denken. Die User Journey ist horizontal – nicht vertikal organisiert.

Zweitens: Der CMO wird zum eCMO: Experience, Commerce & Marketing Officer. Er muss Tech, Data und Produktstrategie verstehen – nicht nur Werbung.

Drittens: Marketing muss an den CEO berichten. In den USA ist das Standard, in Deutschland wird noch der Imagefilm präsentiert. Wenn wir Marketing nicht strategisch denken, verlieren wir unsere Marken und unsere Relevanz.

Dr. Christian von Thaden
Dr. Christian von Thaden
Managing Partner & CEO
+49-173-4512478
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