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Das Ende der „Marketing-Philosophen“

Marketing wird gemeinhin als marktorientierte Führungsphilosophie verstanden. Wurde dieser Anspruch erreicht? Hat er sich bewährt? Bezogen auf die Marketingdisziplin als Ganzes, hat sich bezüglich Markt- und Kundenorientierung seit den 80er-Jahren viel getan. Bezogen auf die Marketeers, hat der „Führungsphilosophieanspruch“ der Akzeptanz der Marketingabteilung im Unternehmen nicht unbedingt geholfen. Wir zeigen auf, warum es zukünftig mehr der Marketingingenieure als der Marketingphilosophen bedarf.

Begriffsverständnis und Anspruch des Marketings haben in den letzten sechzig Jahren eine starke Entwicklung erfahren und lassen sich in mehrere Wellen einteilen. Während in den 50er-Jahren das Marketing primär als Distributions- und Verkaufsfunktion interpretiert wurde, rückte in den 60er-Jahren die Orientierung an Verbraucherbedürfnissen und damit das endkäufergerichtete Marketing in den Vordergrund (vgl. Meffert 2012, S. 8 f.).

Seit den 70er- und 80er-Jahren wurde mehr und mehr die Forderung nach einer integrierten, ganzheitlichen, marktorientierten Führung laut, wobei ein verstärktes funktionsübergreifendes Denken innerhalb der Unternehmung angesprochen wurde. Es hatte sich nicht zuletzt in Deutschland gezeigt, dass selbst technisch beste Produkte sich nicht „von selbst“ verkaufen und dass somit Marketing eine wesentliche Funktion für alle Unternehmen ist: sowohl für B2C als auch für B2B.

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Anspruch: Marketing als marktorientierte Führungsphilosophie

Vor diesem Hintergrund beschreibt Philip Kotler den Weg des Marketings von der gleichrangigen über die vorrangige Funktion hin zu einer Funktion, in der der Kunde im Mittelpunkt steht und Marketing als integrative Kraft auf Führungsebene wirksam wird (vgl. Kotler/Bliemel 1999, S. 35). Ziel dieses Anspruchs war es, eine funktionsübergreifende Orientierung an den Markt- und Kundenbedürfnissen zu etablieren (Outside-In statt Inside-Out), die von oberster Stelle verantwortet und vorgelebt wird. Für die Praxis wesentlich war dabei die Erkenntnis, dass Kundenorientierung nicht am Ende der Wertschöpfungskette erzwungen werden kann, sondern ihren Einfluss schon bei der Produktentwicklung geltend macht. Ohne Kritik blieb dieser Anspruch selbstverständlich nicht; insbesondere in der Wissenschaft wurden Rolle und Existenzberechtigung des Marketings kontrovers diskutiert (vgl. Schneider 1983; Gerken 1992), ohne allerdings den Siegeszug des Marketings in der Praxis zu gefährden.

Wirklichkeit: mehr Philosophie als Führung

Dreißig Jahre später zeigt sich ein zweigeteiltes Bild, und es stellen sich folgende Fragen:

  1. Marketing als Führungsphilosophie: Was ist aus diesem Anspruch geworden? Wird Marketing als kundenorientierte Führungsphilosophie gelebt? Hat sich dieser Führungsanspruch rückblickend bewährt, das heißt, leistet Marketing einen klaren und nachweisbaren Beitrag zu den Leistungen der Unternehmen?
  2. Marketing als Funktion/Abteilung: Wie sieht die institutionelle Verankerung des Marketings in der Praxis aus? Welche Akzeptanz erfährt die Marketingabteilung, und wie ist es diesbezüglich um ihre handelnden Akteure bestellt?

Ad 1: In Bezug auf eine gelebte Markt- und Kundenorientierung (= Philosophie) hat sich das Marketing seit den 80er-Jahren deutlich entwickelt. Eine Studie von 2012 zeigt, dass das Begriffsverständnis des Marketings als Führungsphilosophie sowohl in Wissenschaft als auch Praxis angekommen ist (siehe Interview mit Heribert Meffert auf Seite 59). Weitere Indizien machen Mut: Keine Investorenveranstaltung verzichtet heute mehr darauf, die Vorzüge einer starken Marke als zentrales Asset des Unternehmens zu erwähnen, und die jährlichen Rankings der wertvollsten Marken erfahren hohes Interesse in der Wirtschaftspresse. Denn für Unternehmen lässt sich ein hoher Markenwert kapitalisieren, was einen Erfolgsbeweis erfolgreicher Unternehmensführung darstellt. Weiterhin gehört es bald schon zu den Allgemeinplätzen eines jeden Unternehmens, dass der Kunde im Mittelpunkt allen Denkens und Handelns steht. Der Aufbau von Kundenbeiräten oder -parlamenten, mit denen der Kunde direkt in die Entwicklung eines Unternehmens mit einbezogen werden soll, ist geradezu „en vogue“. Zwischenfazit: Marketing ist als „Führungsphilosophie“ in der Praxis angekommen, und der Wert von Marketing und Marke ist allgemein akzeptiert – allerdings mit deutlichen Unterschieden für verschiedene Branchen. Insbesondere Branchen mit komplexen Produktionsabläufen und langen Produktentwicklungszyklen müssen sich systembedingt mehr „resource based“ verhalten, um im Wettbewerb erfolgreich zu sein. Andere Branchen (z. B. FMCG) können sich eine „Marketing Myopia“ leisten und wesentliche Teile der Wertschöpfung über Marketing erzielen. Vereinfacht gesprochen: Die harten Produktunterschiede und Nutzwerte sind bei Spezialmaschinen eben größer als bei Kaugummis; der Bedarf einer ausgetüftelten „Value Proposition“ ist entsprechend geringer.

Ad 2: Was bedeutet diese grundsätzlich positive Akzeptanz von Marketing als Disziplin und Grundhaltung für die Marketeers? Folgende Indizien deuten auf eine eher ernüchternde Situation hin:

  • In den wenigsten Unternehmen existiert die Position des CMO. Bei den CEOs dominieren häufig Finanzfachleute und Ingenieure (vgl. u.a. Webster 2003; Reinecke et al. 2011, S. 64). Auf Vorstandsebene findet sich vielfach das gemeinsame Ressort „Vertrieb und Marketing“, was de facto meist einen Schwerpunkt auf Vertrieb bedeutet.
  • Marketing findet häufig nur geringe Akzeptanz bei Ingenieuren und Finanzern in Unternehmen („Wenn ich alle Marketing Business Cases der letzten Jahre zusammenrechne, müssten wir einen Umsatz wie Apple haben.“ – Aussage eines leitenden Controllers), und auch im Vertrieb existiert wenig Interesse, mit dem Marketing zusammenzuarbeiten („Die bunten Bildchen macht dann das Marketing.“).
  • „Marketing-Genies“ der Neuzeit sind häufig gerade nicht gelernte Marketeers (beispielsweise Steve Jobs, Hasso Plattner, Ferdinand Piech und Mark Zuckerberg).
  • Neben der Verantwortung für die Entwicklung von Kampagnen oder Events ist das Marketing in der Regel auch für die strategische Steuerung und Führung der Marken zuständig. Dies bedeutet jedoch mitnichten, dass die Marke auch ganzheitlich führt. Die Markenpositionierung definiert in vielen Fällen lediglich die Leitlinien der Kommunikation.
  • Ein Blick auf die überaus erfolgreiche Autoindustrie zeigt, dass wesentliche Marketingentscheidungen außerhalb der Marketingabteilung getroffen werden.

-> Produkt: Das Produktmanagement ist oft im Vertrieb angesiedelt und nicht im „offiziellen“ Marketing.

-> Preis: Preisentscheidungen obliegen dem Vertrieb oder der Entwicklung und werden in der Regel ohne die Marketingabteilung getroffen.

-> Place: Die Steuerung der PoS liegt ebenfalls in der Hand des Vertriebs. Im Service geht der Einfluss der Marketingabteilung kaum über die Ausstattung mit PoS-Materialien (Broschüren, visueller Auftritt etc.) hinaus.

-> Promotion: Nur hier treffen wir auf den originären Verantwortungsbereich der Marketingabteilung – die Kommunikation.

Es kommt somit zu folgendem bemerkenswertem Ergebnis: Beim Marketing ist alles bestens und auf gutem Weg, aber die Marketeers profitieren davon nicht – sondern werden im Gegenteil häufig auf Aufgaben reduziert, die sie auch im „Vor-Marketingzeitalter“ schon hatten. Was sind Gründe für die geringe Akzeptanz der Marketingabteilungen und der „gelernten“ Marketingspezialisten? In der Unternehmenspraxis lassen sich folgende Ursachen erkennen:

  • Organisatorische Verankerung als Querschnittsfunktion: Marketing hat prinzipbedingt viele Schnittstellen und wenig eigene, unabhängige Verantwortungsbereiche entlang der Wertschöpfungskette. Infolgedessen ist der originäre Wertbeitrag des Marketings häufig nicht mehr erkennbar und geht in der Gesamtvermarktungsleistung unter.
  • Bedeutungsverlust der Marktforschung: Mit der Verbesserung der Marktforschungsmethoden (vgl. u. a. Backhaus/Erichson/Weiber 2011; Homburg 2000) war die Hoffnung verbunden, Entscheidungen im Unternehmen auch kundenseitig faktenbasiert treffen zu können und diese somit auf eine rationale betriebswirtschaftliche Basis zu stellen („Fakten statt Bauchgefühl“). In der Praxis hat die Marktforschung viele Top-Manager enttäuscht, weil sich die Ergebnisse unterschiedlicher Studien zum gleichen Thema häufig widersprechen oder so stark interpretationsbedürftig sind, dass es letztendlich doch wieder viel „Bauchgefühl“ bedeutet.
  • Häufig zu wenig substanzielle Ausbildung und unzureichendes Handwerkszeug: Eine fundierte Aus- und Weiterbildung im Marketing findet in vielen Unternehmen nicht statt, so dass die handelnden Personen häufig auf ihr Rüstzeug aus der (akademischen) Ausbildung angewiesen sind bzw. im Falle von Quereinsteigern auf das Selbststudium.
  • Heterogene Stellenprofile: Die Stellenbeschreibungen des Marketeers zeichnen sich durch eine Vielfalt aus, die vom Werbespezialisten über Produkt- und Customer-Relationship-Manager, Marktforscher und Wettbewerbsanalysten bis hin zum Marketingstrategieberater reicht; diese ist auf unterschiedlichsten Hierarchieebenen im Unternehmen verankert. Ein eindeutiges und fokussiertes Kompetenzprofil bzw. -signal lässt sich somit nur schwerlich erreichen.
  • „Allmachtsfantasien“: Abgeleitet aus dem Anspruch einer Gesamtverantwortung für Kundenorientierung, tendieren Marketingpraktiker dazu, die Gesamtstrategie allein bestimmen zu wollen und erzeugen dadurch automatisch Reaktanz bei anderen Abteilungen – gesteigert wird diese Reaktanz dann, wenn es sich um junge, unerfahrene Marketeers handelt, denen man Übersicht und Gesamtverständnis abspricht.
  • Last, but not least: Marketing ROI-Wissenschaft und (Beratungs-)Praxis haben in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, die Messung des Marketing-ROIs auf ein methodisch belastbares Fundament zu stellen (vgl. Rust/Lemon/Zeithaml 2004) – mit letztendlich ernüchternden Ergebnissen. Die einzige Marketingdisziplin, die in diesem Bereich gut aufgestellt ist, ist das Direktmarketing/CRM. Paradoxerweise wird dies in der Unternehmenspraxis häufig gegen die Verantwortlichen verwendet. So klagen Direktmarketingverantwortliche häufig: „Nur bei uns wird nach dem Mehrwert gefragt, bei den anderen wird akzeptiert, dass das nur begrenzt messbar ist.“

Interview mit Heribert Meffert

Christian von Thaden/Martin Holzberg:
Herr Professor Meffert, wo kommen Begriffsverständnis und Anspruch des Marketing als marktorientierte Führungsphilosophie her?

Heribert Meffert: Dieses Verständnis entstand in den 70er-Jahren in den USA, maßgeblich geprägt durch Philip Kotler. Nach einer Zeit, in der Marketing stark auf die vier Marketing-Ps (Product, Price, Promotion, Place) ausgerichtet war, erweiterte Kotler den Anspruch des Marketing um eine unternehmensstrategische Rolle. Markt- und Kundenorientierung sollten im Sinne von „shared values“ eine Handlungsphilosophie für das gesamte Unternehmen darstellen. Dieses Verständnis haben wir in Deutschland adaptiert, wobei ich das Philosophieverständnis nie isoliert, sondern immer im Zusammenhang mit strategischen und operativen Führungsaufgaben gesehen habe.

Ist dieser Anspruch heute Realität?

Marketing wird – insbesondere in der Praxis – nach wie vor in erster Linie als Funktion und verkaufsunterstützendes Instrument gesehen. Eine Querschnittsanalyse, die wir 2012 nach 1994 nun zum vierten Mal durchgeführt haben zeigt jedoch, dass sich das Verständnis als Führungsphilosophie bei Wissenschaftlern und Führungskräften in der Praxis immer weiter etabliert hat – mit beträchtlichen Unterschieden je nach beobachteter Branche und Unternehmensstruktur. FMCG-Unternehmen denken und handeln sehr marktorientiert, während Dienstleistungs- und Industriegüterunternehmen stärker „resource based“ agieren. Insofern klaffen Anspruch und Wirklichkeit des Marketing noch häufig auseinander.

Wie Sie sagen, ist das Marketingverständnis in der Praxis grundsätzlich angekommen. Wir stellen jedoch häufig fest, dass dieses Verständnis gerade von Nicht-Marketeers gelebt und der Einflussbereich der „de jure“ verantwortlichen Marketingmanager in vielen Bereichen auf das Thema Kommunikation reduziert wird. Braucht es deshalb in Zukunft überhaupt noch eine Marketingabteilung oder gar einen Chief Marketing Officer?

Ihre Feststellung, dass das Marketingverständnis gerade von Nicht-Marketeers gelebt wird, kann ich nur bedingt teilen. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass die bisherige Governance – also wie das Marketing im Unternehmen institutionalisiert ist – sich in Zukunft wandeln wird. Auf Top-Managementebene braucht es meines Erachtens nach nicht unbedingt die Position eines CMO, solange der CEO und seine Mannschaft über ein marktstrategisches Mindset und entsprechende Kompetenzen verfügen und bei ihren Entscheidungen die unbestritten wichtige Unternehmens- mit der Marktperspektive verbinden. Vor dem Hintergrund des immer größer werdenden Spektrums des Marketing (bis hin zu gesellschaftlichen und normativ ethischen Belangen, die unter dem Stichwort „Marketing 3.0“ diskutiert werden) und der veränderten Form der Zusammenarbeit im Lichte der sozialen Netzwerke, halte ich eine „Reorganisation“ der Marketingfunktionen/-abteilung im Sinne einer stärkeren Prozess- und Teamorientierung in der Unternehmensorganisation für sehr wahrscheinlich.

Wie sieht Ihre Vision der „Marketingabteilung 2020“ aus?

Hoch angesiedelt, prozessorientiert ausgerichtet, mit ausreichendem Freiraum und Verantwortung ausgestattet, mit dem Auftrag, die Koordination der gesamten Wertschöpfungskette als „Kundenmanager“ zu übernehmen.

Zukunft: mehr Marketingingenieure als Marketingphilosophen

Was heißt das für das Marketing der Zukunft? Was muss sich ändern, damit Marketeers im Unternehmen ernst(er) genommen werden? Wesentlich erscheint die Überwindung eines zentralen Missverständnisses: Marketing ist Führungsphilosophie = Marketeer ist Marketingphilosoph. Der hohe Anspruch des Marketings als Führungsphilosophie stellt die enorme Anforderung an die verantwortlichen Personen, konkrete, messbare Mehrwerte für das Unternehmen zu generieren und der Gefahr zu widerstehen, als Marketingphilosoph für alles und nichts verantwortlich zu sein.
Wenn Marketing – richtigerweise – eine Führungsphilosophie ist, obliegt es dem Marketeer, diesen normativen Anspruch auf die Herausforderungen der Praxis herunterzubrechen und in handlungsleitende Programme zu übersetzen. Eine Anforderung, die z.B. von Berufsanfängern im Prinzip nicht zu leisten ist. Der Marketeer darf sich nicht nur als „Anwalt des Kunden“ verstehen, sondern muss aktiv Verantwortung für die UMSETZUNG von Business-Zielen übernehmen. In der Praxis bedeutet das einen fundamentalen Mind-Shift: Der Marketeer ist nicht mehr als Input-Geber und Budgetverantwortlicher, sondern als UMSETZER gefragt.
Auf den Punkt gebracht: Wir brauchen nicht mehr den Marketingphilosophen, sondern vielmehr den Marketingingenieur (s. Abb. 1).

Dies gilt auch und insbesondere vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung. Zukünftig wird es kaum noch Marketingfragestellungen geben, die nicht Konsequenzen im Hinblick auf Prozesse und Systeme nach sich ziehen. Der Erfolg innovativer Marketingideen und -strategien steht und fällt mit der technischen Realisierbarkeit im digitalen Zeitalter. Hier gilt vereinfacht: „Du bist in den Details und den Implikationen – oder du bist raus!“ Für das Marketing als Querschnittsfunktion ist dies eine besondere Herausforderung, weil Marketingaufgaben häufig eher auf Breite als auf Tiefe angelegt sind.

Lösungen für die Unternehmenspraxis

Wie können dieser notwendige Mind-Shift und die unabdingbare Kompetenzerweiterung unterstützt werden? Für die Unternehmenspraxis ergeben sich folgende Ansatzpunkte:

  • Weiterbildung: Marketing muss einen erweiterten Fokus haben, und die Marketeers sollten vertiefte Kenntnisse in allen schnittstellenrelevanten Funktionen erwerben.
  • Kooperation und Koordination: Marketeers und Schnittstellenpartner, insbesondere zunehmend IT, müssen weg vom Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis hin zu einem teamorientierten Miteinander („joint teams“). Hierzu kann der Marketingingenieur im zuvor beschriebenen Sinn einen Beitrag leisten. Auf der anderen Seite braucht es aber auch in der IT Verantwortliche mit dem korrespondierenden Verständnis fürs Geschäft.
  • Ausflüge ins Feld: Der weitverbreitete Ansatz im Handel, Mitarbeiter aus dem Management immer wieder für mehrere Tage „auf die Fläche zu schicken“, lässt sich auf viele Aufgabenbereiche des Marketings übertragen und hilft dabei, Umsetzungsimplikationen eigener Entscheidungen besser zu verstehen.
  • Organisation: Es bedarf klarer beschriebener und größerer Verantwortung für die Marketeers und einer gewissen Skepsis gegenüber Schnittstellenfunktionen. Personen mit Schnittstellenfunktion sind häufig ein Indiz dafür, dass grundsätzliche Parameter der Zusammenarbeit nicht geklärt sind. An den Stellen, an denen Schnittstellenfunktionen wirklich notwendig sind, sollte bei der Auswahl der Verantwortlichen berücksichtigt werden, dass diese Personen Kompetenzen in beiden Bereichen erworben haben.

Neben Ansätzen in der Praxis spielt vor allem die betriebswirtschaftliche Ausbildung an Universitäten und Fachhochschulen eine wichtige Rolle, Marketingingenieure heranzubilden. Im Bachelor-Studium ist Marketing an vielen Hochschulen durchaus in ausreichender Breite und Tiefe präsent, allerdings bleiben Zusammenhänge mit anderen Disziplinen auf der Strecke. Die Studierenden lernen eine Fülle von Spezialwissen (auswendig), ohne dass die gegenseitigen Bezüge verdeutlicht werden. Für praktische Zwecke ist es aber notwendig, den Koordinationsbedarf für die Speziallösungen deutlich zu machen und Lösungen aufzuzeigen (vgl. Backhaus 2012). Der Masterstudiengang Marketing ist wiederum häufig von Überspezialisierung geprägt. Das Marketing-Curriculum ist – u. a. bedingt durch die „A-Journal Kultur“ – so sehr auf Mikrofragestellungen konzentriert, dass zentrale Fragestellungen der real im Wettbewerb stehenden Unternehmen keine Berücksichtigung finden. Hier gilt es zu hinterfragen, ob Marketing ein sinnvolles Vertiefungsfach ist oder nicht besser in einer breiteren Managementspezialisierung aufgehen sollte.

Eine weitere dramatische Konsequenz, die aus der fortschreitenden Spezialisierung der Ausbildung resultiert, ist, dass ein sich gegenseitig befruchtender Dialog zwischen Theorie und Praxis kaum noch stattfindet – ein Umstand, der für eine ANGEWANDTE BWL mehr als bedenklich ist. Eine angewandte BWL muss Verantwortung für eine zukunftsweisende Berufsvorbereitung übernehmen. Fragestellungen der Praxis erreichen die Forschung nicht mehr. Erkenntnisse der Forschung sind für die Praxis häufig zu mathematisch-theoretisch oder zu vage und in der Praxis nicht handlungsleitend. Modelle, wie von Hochschulen organisierte „Heiratsmärkte“, bei denen Unternehmen mit Forschung und Lehre regelmäßig aufeinandertreffen und Zukunftsthemen diskutieren, sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Darüber hinaus haben wir selbst gute Erfahrungen damit gemacht, aktuelle Fragestellungen in Kooperation mit Lehrstühlen in Seminaren mit Studenten zu diskutieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Die Schwierigkeiten dieser Fragestellung sind uns sehr wohl bewusst, wir sehen das aber gerade deshalb als zentrales Handlungsfeld. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können das nur erste Impulse für Lösungsrichtungen sein. Wir würden uns freuen, wenn zu diesem entscheidenden Zukunftsthema eine Diskussion zwischen Wissenschaft, Praxis und Dienstleistern/Beratungen in Gang käme.

Gesamtfazit

Wurde in der Vergangenheit häufig das „Quo vadis Marketing?“ diskutiert, sollte sich die zukünftige Aufmerksamkeit vermehrt auf das „Quo vadis Marketeer?“ richten. Um im digitalen Zeitalter erfolgreiches Marketing durchzuführen, bedarf es „Marketingmenschen“, deren Qualifikation weit über das hinausgeht, was man im etablierten Funktionsverständnis als Marketing versteht. Marketingwissen im eigentlichen Sinn ist nur notwendige, aber keinesfalls hinreichende Voraussetzung. Für Unternehmen, die das verstanden haben, bieten sich große Chancen, eine neue Form der Kundenorientierung zu verwirklichen und diese in Geschäftserfolg zu übersetzen. Für die akademische Ausbildung bedeutet das, dass zukünftig solche Hochschulen gefragt sein werden, die in der Lage sind, diesen neuen Typus „Marketingingenieur“ hervorzubringen.

Literaturverzeichnis:

Backhaus, K./Erichson, B./Weiber, R. (2011): Multivariate Analysemethoden: Eine anwendungsorientierte Einführung, 13. Auflage, Berlin.

Backhaus, K. (2012): „ ‚Was heißt und zu welchem Ende studiert man‘ … allgemeine Betriebswirtschaftslehre?“ – Abschiedsvorlesung Professor Backhaus, in: MCM-News 4/2012.

Gerken, G. (1992): Abschied vom Marketing: Interfusion statt Marketing, Berlin.

Homburg, C. (2000): Entwicklungslinien der deutschsprachigen Marketingforschung, in: Backhaus (Hrsg.), Deutschsprachige Marketingforschung – Bestandsaufnahme und Perspektiven, Stuttgart, S. 339–360.

Kotler, P./Bliemel, F. (1999): Marketing-Management – Analyse, Planung, Umsetzung und Steuerung, 9. Aufl., Stuttgart.

Kotler, P. (2010): Marketing 3.0: From Products to Customers to the Human Spirit, Hoboken.

Meffert, H./Burmann, C./Kirchgeorg, M. (2012): Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung, 11. Auflage, Wiesbaden.

    Reinecke, S. et al. (2011): Einfluss des Marketing – Löwen brauchen nicht zu brüllen, Institut für Marketing der Universität St. Gallen und Swiss Marketing (SMC), St. Gallen.

    Rust, R. T./Lemon, K. N./Zeithaml, V. (2004): Return on Marketing: Using Customer Equity to Focus Marketing Strategy, in: Journal of Marketing, Vol. 68, No. 1, S. 109–127.

    Schneider, D. (1983): Marketing als Wirtschaftswissenschaft oder Geburt einer Marketingwissenschaft aus dem Geiste des Unternehmensversagens?, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 35. Jg., Nr. 3, S. 197-222.

    Webster, F. E. (2006): Do you know where your marketing department is? – An Interview with Professor Fred Webster, in: Tuck Today, Spring, S. 16–23.

    Webster, F. E./Malter, A. J./Ganesan, S. (2003): Can Marketing Regain Its Seat at the Table?, in: MSI Working Paper Series, No. 3, S. 29–47.

    Dr. Christian von Thaden
    Dr. Christian von Thaden
    Managing Partner & CEO
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